Donnerstag, 5. Januar 2012

Summerhill und Pflegeheim, Teil I.

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Wer den nachfolgenden Text mit dem verknüpften Zusammenhang zwischen Summerhill und Pflegeheimen  verstehen will, der sollte sich zunächst einmal genauer über das sogenannte "Experiment Summerhill" informieren.
Hier sind zwei passende Links in der Wikipedia:
Die Schule Summerhill in England
und
Laissez-faire

Die Idee des Gründers der Schule von Summerhill, Alexander Sutherland Neill, bestand im Wesentlichen aus der Idee, die Kinder ohne jeglichen Zwang zu erziehen. Dabei war das Wort "erziehen" schon fast verpönt und sollte eher mit "entwickeln" ersetzt werden.
Zwang - in jeglicher Form - war absolut tabu.
Zwang setzt, wenn er nicht willkürlich ausgeübt wird, auch Regeln voraus, und die wollte man in der Schule Summerhill nicht.
Dieser Weg hat sich als Irrweg erwiesen.
Wenn man heute genauer hinschaut, dann sieht man, daß dort in Summerhill zur Zeit mehr als 200 klar definierte Regeln gelten . . .

Heute hatte ich die zufällige Gelegenheit, dieses Thema "Zwang" in Pflegeheimen auch mit einem Mitarbeiter der Heimaufsicht anzusprechen. Mir wurde bestätigt, daß dieses Thema "Zwang" eine recht problematische rechtliche Grauzone darstellt, hinter der sich die Pflegedienst-Leitung im Pflegeheim gut verstecken kann, wenn nicht genügend Zeit (und Personal) zur Verfügung steht, um eine vollwertige Pflege (mit entsprechender Mobilisierung!) für alle zu gewährleisten.

Mit der "Stellschraube Zwang" kann man bei sehr sanfter Einstellung alle Arbeiten schaffen und bei robusterer Einstellung braucht man mehr Zeit und und damit oft mehr Personal.

Beispiel:
Einem Pflegling ist es zu unbequem sich auf die Toilette bringen zu lassen
und er bleibt lieber im Bett liegen um in die Windel zu machen.
Eine motivierende Ansprache, daß er sich doch zur Toilette bringen lassen sollte, wäre mit Mehrarbeit verbunden . . .

Oder:
Ein Pflegling hat vom langen Liegen Schmerzen beim Transfer in den Rollstuhl und bleibt deshalb lieber im Bett . . .
Dann spart man sich möglicherweise Arbeit, wenn man den Pflegling sehr sanft fragt, ob er in den Rollstuhl möchte und hofft auf die Antwort "Nein, heute nicht".
Schnappt man sich diesen Pflegling allerdings etwas resoluter, so kann das richtig in Arbeit ausarten . . .

Oder:
Der Pflegling wird "ganz sanft" mit dem "Weichspüler" Mirtazapin gefüttert, ohne daß ihm klar gemacht wird, was er da eigentlich schluckt.
Wenn das man keine Zwangsmaßnahme ist, die eigentlich vorher vom Betreuungsgericht explizit genehmigt werden müßte . . . !

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Mir geht es hier in diesem Beitrag darum, die Grenzen auszuloten, wie weit man in seiner Überzeugungskraft (Motivationsdruck)
gehen darf und wo diese Überzeugungskraft von dem Pflegling als Zwang empfunden oder von Pflegekräften so ausgelegt wird.

Wer legt die Grenzen fest, wenn der Pflegling sich selbst nicht klar äußern kann (oder will)?
Der Gesetzgeber oder die Heimleitung?
Der Betreuer oder ein Angehöriger?
Oder ist es der zufälligen Einstellung der jeweiligen Pflegekraft überlassen?
Oder muß da erst ein Richter entscheiden, weil der Gesetzgeber in seinen Gesetzen nicht für die erforderliche Klarheit gesorgt hat?

6 Kommentare:

  1. Hallo Rentner Anton,
    Kompliment für deinen Blog! Endlich mal ein Blog, der einen zum Denken anregt.

    Ich arbeite selber als Altenplegerin in Köln und frage mich auch immer wieder in Situationen, in denen die Bewohner sich "Stur stellen", wie weit man gehen kann. Mir stellt sich oft die Frage, ob es vielleicht nicht schon Zwang ist, wenn ich einen Bewohner solange Überrede seine Medikamente zu nehmen, bis er das dann auch wirklich tut.

    Natürlich weiß ich, dass er die Medikamente braucht, aber wenn er noch in Vollbesitz seiner Geistigen Kräfte ist, sollte ien Mensch doch selber entscheiden dürfen. Eine echtes Dilemma.

    LG
    Katja

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    1. Nun Katja, wir haben Regeln für fast alle Lebensbereiche.
      Selbst um 2 Uhr morgens halten wir mit dem Auto an einer roten Verkehrsampel an, egal, ob die Kreuzung übersichtlich ist und man hunderte Meter weit die kreuzende Straße überblicken kann und genau sieht, daß da meilenweit kein Fahrzeug und auch kein Mensch oder Tier deinen Weg kreuzt.
      Wir halten an und warten geduldig.

      Aber wehe, wenn wir eine Entscheidung treffen müssen und finden keine passende Regel, die genau auf diesen Fall zugeschnitten ist!
      Dann reagieren wir oft hilflos.

      In meiner "Summerhill-Reihe" werde ich Antworten darauf suchen.
      Zunächst einmal müssen Begriffe wie "Freier Wille" und "Was ist Zwang?" klarer definiert werden.

      Hab ein wenig Geduld und komme gelegentlich wieder hierher.
      In der Zwischenzeit lesen wir sicherlich in dem einen oder anderen Pflegeforen voneinander ;-)

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  2. Wer mag unter Druck gesetzt werden?
    Trotzdem üben wir selber so viel Druck auf eigene Kinder oder ältere Menschen aus. Mit verbaler oder emotionaler Gewalt in Form von emotionaler Erpressung oder Manipulation kann man die Menschen nicht zum vermeintlichen Glück zwingen. Nichtstun ist dabei auch keine Lösung. Fördern und individuelle Bedürfnisse respektieren heißt nicht zwingen.
    Das A und O ist die richtige Kommunikation und die daraus resultierende Motivation.
    Es sollte nicht schwerfallen, sich in andere Menschen hineinzuversetzen. Oder? Wenn wir etwas bewegen möchten, dann können wir mit Aggression gerade das Gegenteil erreichen.

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  3. @Pflegekraft
    Deine Zeilen treffen den Punkt.
    Da ist nur ein kleiner Haken in deinem Text.
    Dein "Oder?" im vorletzten Satz.

    Sich in andere Menschen hineinzuversetzen (=Empathie) scheint eine der selten gewordenen Fähigkeiten des Menschen geworden zu sein.
    Und wenn dann doch einmal dieses Verstehen des Anderen geschieht, dann wird es schnell verdrängt, wenn die Folgen dieser Tugend Geld, Zeit oder Mühe kosten könnten.


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  4. Hey Rentner Anton,

    ich bin auf deinen Blog gestoßen, da ich auf der Suche nach einer guten Alternative für meine Mutter bin.. Sie wird zunehmend dement und ich schaffe es mit Job und Kindern nicht täglich zu ihr zu kommen und zu helfen.

    Ich will nicht, dass sie so wie du es beschreibst, zu irgendwelchen Medikamenteneinnahmen gezwungen wird oder dass ihr in dem Pflegeheim nicht genug motiviert wird, die Dinge noch so gut es geht selbst zu schaffen und dann überhaupt die eigene Motivation verliert.
    Dein Blog regt mich wirklich zum Nachdenken an ob es nicht noch irgendwelche Ausweichmöglichkeiten gäbe.
    Zwar weiß ich , dass es auch ambulante Pflege (wie http://pflegeberater.org/pflegeformen/ambulante-pflege/ ) gibt, allerdings wird das nun auch alles in Frage gestellt, wenn ich über ihre Freiheiten oder Zwänge nachdenke.

    Vielen Dank für die Anregungen!
    Liebe Grüße,
    Amelie S.

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    1. Hallo Amelie!

      Je nachdem wie Deine Finanzen aussehen, und ob Du voll oder in Teilzeit berufstätig bist, kannst Du dich unter mehreren Alternativen entscheiden.

      Für die zu pflegende Person ist die beste Lösung fast immer die Pflege im vertrauten Umfeld von Personen die ihr auch bekannt sind = die Pflege zu Hause durch einem Familienangehörigen.
      Ein dazu bestellter Pflegedienst kann die Arbeitslast für dich etwas mildern.

      Bist Du berufstätig oder hast Du Kinder, die ja auch Deine Zuwendung brauchen, dann könntest Du dir eine Haushaltshilfe (z.B. aus Polen) zur Hilfe holen.
      Aber die Kosten liegen meist irgendwo zwischen 1 und 2-Tausend T€uro.

      Die dritte, und leider schlechteste Lösung ist, die Pflege ganz in fremde Hände zu legen = Pflegeheim.
      Je nach Deinem eigenen Vermögen kann dich das durchaus runde 2-Tausend €uro im Monat kosten.
      Und bei einem Pflegeheim verlierst Du die Übersicht und Kontrolle über die zu pflegende Person.
      Im schlimmsten Fall wirst Du sogar als Betreuerin ausgebootet und, wenn es noch schlimmer kommen sollte wird dir gar ein Rechtsanwalt als Betreuer vor die Nase gesetzt, dessen soziale Kompetenz nicht gerade für eine gute Pflege bürgen.

      Bei alledem mußt Du darauf achten, daß Du dich nicht selbst überforderst und dabei vor die Hunde gehst!
      Häusliche Pflege kann Schwerstarbeit sein.

      Hast Du Familienangehörige oder gute Freunde, die dir mit Rat und Tat bei dieser schwierigen Entscheidung zur Seite stehen können?

      - Hier in meinem anderen Blog kannst Du nachlesen, wie es mir mit meinem, inzwischen qualvoll verstorbenem Bruder, ging, der in einem Pflegeheim dahin vegetierte:
      http://pflegeheim-ich-klage-an.blogspot.de/

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